Ursachen von Abgrenzungsproblemen

„Grenz Dich doch ab!“ Wie oft haben wir diesen Spruch schon gehört? Aber dieser Spruch hat uns nie wirklich weitergeholfen. So lange wir nicht verstehen und fühlen, wieso wir die Grenzen an bestimmten Stellen offen lassen, können wir auch nicht gezielt die Grenzen setzen. Es gibt viele Gründe, die es uns schwer machen, das Stopp-Schild vor uns zu stellen. Manche Ursachen unserer Abgrenzungsprobleme ​liegen in der Kindheit, manche liegen an unseren Einstellungen und manche an den äußeren Situationen. Am gravierendsten sind sicher die Abgrenzungsprobleme, die aus der Kindheit stammen, denn sie werden von uns sehr unbewusst ausgeführt.

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Abgrenzungsprobleme aufgrund äußerer Situationen oder nach außen gerichteten Wünschen:

  • Machtgefälle: Dein Vorgesetzter ist schlichtweg am längeren Hebel. Wenn Du seine Wünsche beständig ablehnst, wird er sich mit Repressalien bestrafen oder gar kündigen. Aber auch hier gilt es, seine Selbstachtung und seine eigene Gesundheit nicht zu untergraben. Verhält sich also Dein Vorgesetzter respektlos, dann halte Ausschau nach einem neuen Job.
  • Eigene Bedürftigkeit: Wenn Du erwartest, dass der andere Deine Bedürfnisse erfüllt, bist Du in gewisser Weise auch in Zugzwang. Du wirst Deine Bedürfnisse nicht befriedigt bekommen, wenn Du den Wünschen des anderen nicht auch entgegen kommst.
  • Ansprüche: Wenn Du auf das Erbe Deiner Tante spekulierst, dann wirst Du auch etwas nach ihrer Pfeife tanzen müssen. Schließlich kann sie ihr Testament ändern, wenn Du nicht parierst.
  • Abhängigkeit: Stehst Du nicht auf eigenen Beinen, sondern hängst Du am Tropf Deines Partners oder Deiner Eltern, dann solltest Du nicht am Ast, auf dem Du sitzt, sägen. Auch dies kann Dich zu unliebsamen Kompromissen zwingen.

Abgrenzungsprobleme aufgrund von inneren Einstellungen und Konditionierungen:

Der Wunsch nach Zugehörigkeit:

Machen wir uns nichts vor. Wir Menschen sind soziale Wesen. In jedem von uns steckt noch der Stammesinstinkt unserer Vorfahren. Nur in der Gruppe war der Mensch in früheren Zeiten überlebensfähig. Zu groß waren die Gefahren der Natur mit den klimatischen Herausforderungen und den wilden Tieren, als dass ein einzelner allzu lange auf sich allein gestellt, hätte überleben können. Die Angst vor Ausgrenzung ist deshalb tief in uns eingegraben, denn Ausgrenzung wäre früher dem Tod gleich gekommen.  Trifft diese Angst vor Ausgrenzung Deinen wunden Punkt, dann frage Dich: Wieviel Selbstverleugnung ist Dir die Zugehörigkeit zur Gruppe wirklich wert? Und mache Dir bewusst, zum Überleben brauchst Du diese Gruppe in der heutigen Zeit nicht mehr.

Der Wunsch nach Wertschätzung:

Wenn Du von anderen Menschen Bestätigung und Zuspruch brauchst, wirst Du Deine Grenzen nicht in voller Unabhängigkeit setzen können. Das Lob der anderen erhältst Du meist nur, wenn Du nach deren Regeln, Erwartungen und Wünschen spielst. Frage Dich hier vor allem, wie es um Dein eigenes Selbstwertgefühl bestellt ist, wenn Du so sehr nach der Zustimmung anderer hechelst. Je höher Dein eigenes Selbstwertgefühl ist, desto weniger bist Du auf die Wertschätzung Deines Gegenübers angewiesen.

Selbstkonzepte und Selbstidentifikationen:

​Solltest Du hohe Ansprüche an Dich stellen und ein Selbstbild haben, das Dich z.B. als hilfsbereit oder verantwortungsvoll zementiert hat, dann wirst Du dieses Selbstbild eher verteidigen, als Deine persönlichen Grenzen zu wahren.  Überprüfe Dein Selbstbild auf diese Werte: Toleranz, Offenheit, Verantwortlichkeit, Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft, Güte, Fleiß und z.B.  Nachsichtigkeit. Wenn Du Dich zu sehr mit diesen Eigenschaften identifizierst, dann merkst Du unter Umständen gar nicht, wenn  sich z.B. Deine Toleranz und Deine Hilfsbereitschaft gegen Dich selbst richten. Es wäre für Dich selbst besser, von dem hohen Ross des Gutmenschen abzusteigen und  diese Werte für Dich selbst einzusetzen, Dir also selbst mit Großzügigkeit und Toleranz gegenüber zu treten. Solche hehren Selbstkonzepte lassen Deine Grenzen sonst offen wie Scheunentore.

Mitleid/Mitgefühl:

Empathische Menschen grenzen sich grundsätzlich schlechter ab, als gefühllose Zeitgenossen. Es ist sicher nicht erstrebenswert seine Empathie aufzugeben, denn erst die Empathie macht uns zu Menschen. Blick um Dich herum: Welche Menschen sind Dir am liebsten, welche Menschen wärmen Dein Herz? Es sind die Menschen, die sich in Dich einfühlen. Sie geben Deinem Leben Wärme, Würze und Freude. Also das hier ist kein Plädoyer für eine Gefühlskälte, sondern für Bewusstheit. Wir sollten die Grenze zwischen Mitgefühl und Mitleid immer klar vor Augen haben. Mitleid bringt auch dem Leidenden nichts. Wenn Du Dich vor lauter Mitleid selbst schwächst, schlaflos im Bett wälzt, Deine finanziellen Ressourcen überspannst, dann bist Du selbst keine Hilfe. Bleib lebensfroh und lebe Dein eigenes Leben.  So bleibst Du in Deiner Kraft und nur so kannst Du ein Leuchtturm  für Deinen Mitmenschen in Seenot bleiben.

Achte auch immer auf Deine Art der Hilfe und frage Dich: „Ist diese Hilfe eine Hilfe zur Selbsthilfe oder untergräbt diese Hilfe die eigenen Anstrengungen des Betroffenen?“.  Der Mensch an sich ist bequem und so lange es für ihn bequemer ist, in der bekannten aber leidvollen Situation zu bleiben, als mühsame Anstrengungen auf sich zu nehmen, wird der unbewusste Mensch kein Antrieb zur Lösung seines Problems haben. Vermeide es, den Kampf mit der Trägheit des Leidenden aufzunehmen, Du wirst meistens verlieren.

Abgrenzungsprobleme aufgrund der Kindheit

Diese Ursachen von Abgrenzungsproblemen sind sicher weniger leicht greifbar und auch schwieriger zu lösen. Haben in Deiner Kindheit sehr traumatisierende Ereignisse stattgefunden, dann solltest Du Dir professionelle Hilfe suchen. Für alle anderen gilt: Achte auf Deine Reaktionen, damit Du Deine Verhaltensmuster erkennen kannst. Erkenntnis ist bekanntlich der erste Schritt zur Meisterschaft. Immer, wenn sich eine menschliche Begegnung ungut anfühlt oder es Dir nach einer Entscheidung schlechter geht, sind möglicherweise Deine Grenzen unterlaufen worden. Forsche nach Deinem Beitrag, Deinen Signalen, die diese Grenzüberschreitung erst möglich gemacht haben.

Die Liste der Dinge, die die Eltern falsch gemacht haben können, ist wie immer lang:

​Falsches Vorbild:

Die Eltern haben selbst schlecht für sich gesorgt. Sie sind selbst über ihre Grenzen gegangen, konnten nicht „Nein“ sagen und haben sich geopfert. Kinder beobachten und übernehmen dieses vorgelebte Verhaltensmuster. Für jedes Kind sind die Eltern die ganze Welt. Was die Eltern tun, ist in der Wahrnehmung für das kleine Kind immer das Richtige, auch wenn es dies objektiv nicht ist. Kleine Kinder können noch nicht über den Tellerrand der eigenen Eltern hinaussehen, diese Prozesse beginnen erst in der Pubertät.

​Keine Grenzen:

Gab es in der Kindheit keine Grenzen, weil die Eltern keine Grenzen definierten, lernt das Kind auch keinen Umgang mit Grenzen. Weder kann es im Umgang mit anderen Menschen deren Grenzen akzeptieren, noch lernt es sich, sich selbst abzugrenzen.

​Willkürliche, ständig wechselnde Grenzen – unberechenbare Grenzen:

Sagten die Eltern heute dies und morgen das. Achteten sie mal auf die Einhaltung der Grenzen und mal  ließen sie die Kinder die Grenzüberschreitung unkommentiert gewähren, so wird das Kind sehr unsicher und findet keine klaren Orientierungspunkte. Kam es dann auch noch dazu, dass die Eltern an Stellen ausflippten, an denen sie zuvor keine Grenze definiert hatten, dann wurde das Kind völlig verunsichert. Es bewegte es sich wie durch ein vermintes Gelände. Es wusste nie, wann eine elterliche Bombe hochgeht. Schutzlos und orientierungslos war es der elterlichen Willkür ausgeliefert.

Den Wert der Grenzen lernt das Kind so nicht kennen, es weiß nicht, in welcher Zone es sicher ist.

​Grenzüberschreitungen dem Kind gegenüber:

Auch ein Kind drückt Abwehr und Widerstand aus. Es gibt sicher Situationen, an denen die Eltern die Abwehr des Kindes durchbrechen müssen, z.B. in medizinisch notwendigen Situationen oder wenn für das Kind selbst durch den eigenen Widerstand Gefahr droht. Wenn Eltern die Kinder aber schlagen, sie psychisch demütigen, sie z. B. verbal verletzen oder sie gar missbrauchen, dann untergraben sie das Selbstwertgefühl des Kindes so dramatisch, dass es sein ganzes Leben darunter leiden wird. Der erwachsene Mensch, der als Kind missbraucht oder misshandelt wurde, wird sich Dinge gefallen lassen, die Außenstehende nicht nachvollziehen können. Dieser Erwachsene wird keine Grenzen setzen, er wird sich nicht selten auch auf eine gewalttätige, missbräuchliche oder zerstörerische Beziehung einlassen.

​Frühe Verantwortung:

Muss ein Kind früh Verantwortung übernehmen, weil ein Elternteil fehlt, ein Elternteil krank oder behindert ist oder weil die Eltern aus anderen Gründen mit ihrem eigenen Leben überfordert sind, dann wird das Kind schon früh gezwungen über die eigenen Grenzen zu gehen. Es muss sein Verlangen nach unbeschwertem Spielen und Zusammensein mit Gleichaltrigen hinten anstellen und funktionieren. Oft müssen diese Kinder schon früh mit Überforderungen umgehen lernen. Sie werden nach der Messlatte eines Erwachsenen bewertet. Bedürfnisse nach Wärme, Verständnis und Trost müssen sich nicht selten abspalten, da es keinen gibt, der diese erfüllen könnte. Als Erwachsene sind Menschen mit dieser Kindheitserfahrung sehr verantwortungsbewusst. Sie neigen dazu sich selbst zu übergehen und ihre eigene Bedürftigkeit zu verdrängen. Dieser Typus arbeitet zu viel und ist zu hart gegen sich selbst.

​Desinteressierte, abwesende Eltern:

Eltern, die nicht da sind oder nur physisch anwesend sind, ohne Interesse am Kind zu zeigen, können ebenfalls keine Grenzen setzen. Das Kind wird daraus lernen: „Ich bin nicht wichtig.“ Als Erwachsener wird er sich ebenfalls nicht wichtig nehmen und keine Grenzen setzen.

Zusammengefasst möchte ich nochmal betonen: Lieblose und nicht wertschätzende Eltern richten immensen Schaden an.

Grenzen sind für das Kind richtig, wenn sie...

  • ​dem Kind eine Richtschnur geben.
  • ​dem Kind Sicherheit vor Gefahren und Selbstüberforderung bieten.
  • ​die Gesundheit des Kindes sichern.
  • ​den Ehrgeiz des Kindes wecken.
  • ​es in seinen Talenten stärken.
  • ​seinen Willen nicht brechen.
  • ​​sein Selbstvertrauen entwickeln (Grenzen deshalb nicht zu eng und nicht zu weit stecken).
  • ​​einen respektvollen Umgang mit sich selbst und den Mitmenschen  erlernbar machen.
  • ​​​es zu einem mit Mensch, Tier und Umwelt sorgsam umgehenden Wesen machen.

Schuldgefühle:

Hast Du einem Menschen gegenüber Schuldgefühle, dann wirst Du dessen Bitten und Wünsche nur schlecht abschlagen können. Ganz offensichtlich ist dies in den Beziehungen, in denen Dir ein Versagen, eine Verletzung, eine Grenzüberschreitung bewusst ist. Aber es gibt auch Beziehungen, die von Schuldgefühlen unterströmt sind, ohne dass Du weißt, welches Vergehen Du eigentlich begangen hast. Es gibt Beziehungen, in denen Du einfach schuldig bist, weil Du bist, weil Du existierst. Dir werden schuldlos Schuldgefühle gemacht, weil jemand anderes sein Versagen und seine Verantwortung nicht tragen will. Diese Beziehungen sind meistens familiär, zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern.

Kinder kommen nicht immer gewollt auf die Welt.

Die Eltern geben ihre Lebensplanung auf, schränken sich ein, um sich der neuen Situation zu stellen. Wenn auch nicht immer bewusst, geben sie dem Kind die Schuld für ihre Opfer und Einschränkungen. Nicht selten ist die ganze Eltern-Kind-Beziehung durch Schuld vergiftet. „Das bist Du uns schuldig“, schwingt in Wünschen und Bitten dieser Eltern immer mit. Und dies sind meist sehr fordernde Eltern. Nicht selten fordern sie als Pfand für die eigenen Opfer das ganze Besitzrecht am Leben des Kindes.  Sie ersticken lieber ihr eigenes Kind, als es in seine natürliche Freiheit zu entlassen.

Wenn erwachsene Menschen immer noch nach den Pfeifen der Eltern tanzen, dann liegt dies meist an unterbewussten Schuldgefühlen. Dieser Mechanismus ist so perfide, weil er ganz unbewusst abläuft. Der Knopf, auf den die Eltern nur sanft drücken müssen, damit das Kind springt, wurde schon in frühester Kindheit installiert. Das Kind war von Anfang an  Schuld an der Misere der Eltern. Wertschätzung und Liebe dem Kind gegenüber waren minimal.  Es musste sich die Liebe verdienen und die Schuld abtragen. Immer brav und fleißig musste das Kind immer höher, weiter, schneller nach den fünf Krümeln Liebe springen. Wie Dompteure haben sie das Kind gefügig gemacht, indem sie den Köder „Liebe“ nur äußerst sparsam  verteilt haben.

Um sich in solchen Beziehungen abgrenzen zu können, ist es zuerst wichtig, sich der Unschuld bewusst zu werden. Du bist nicht schuldig.

Unsere Visualisierung „Um sich von Schuldgefühlen zu befreien“ hilft Dir, diese Schuldgefühle sichtbar zu machen und Dich anschließend davon zu lösen.

Nutz diese Chance frei und unbeschwert zu werden, indem Du Dein Unterbewusstsein von Schuld befreist.

Schuldgefühle

Schuldgefühle können uns fesseln

​Vergleiche dazu den Blogbeitrag:

Sich von den Fesseln der Schuldgefühle befreien!

​Hier unsere weiteren Beiträge zum Thema Abgrenzung:

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